Womit soll ich beginnen, wenn ich von Alcala berichten will? Am besten in Dos Hermanas, was „zwei Schwestern“ bedeutet. Dies ist der verwunschene Ort, irgendwo zwischen Conil und Sevilla, in dessen 1. Kreisel ich ins „Leere“, statt des gewohnten Widerstandes der Kupplung trete. Diese hat sich soeben verabschiedet.
Geistesgegenwärtig bringe ich unser Auto aus dem Kreisel und komme an einer BP-Station, ziemlich direkt vor der Waschhalle zum Stehen, ENDE…
Erfreut ist der Tankstellenbesitzer freilich nicht, aber was nützt alles Jammern? Es ist Samstagnachmittag, Spanien schon im „Wochenendmodus“ und wir erst mal im Arsch. Über das Tankstellenwifi können wir wenigstens unsere genauen Koordinaten rausfinden und nach Germany telefonieren, „ADAC-Auslandsabteilung“. Paar Mal hin und her, wird uns dann für Montagmorgen ein Abschlepper organisiert. Ach ja, es geht nach Alcala de Guadaira. Nach wo? Noch nie gehört, kann man noch nicht einmal richtig aussprechen! Okay! Jetzt erst mal tranquilo, wie der gemeine Spanier zu sagen pflegt, runterfahren, durchatmen…
Der Sonntag, der unserer 1. Tankstellenrastnacht folgt, ist nicht sonderlich aufregend, beherrscht von der Frage: Wie`s weitergeht. „Do Ermana,“ wie man es hier lieblos nennt, weiß sich tatsächlich nicht durch seine Schönheit zu rühmen. Aber wenigstens T-Shirt-Wetter, blauer Himmel und „Rundum-Sorgenfreiparkplatz“ mit 24h-Bewachung und WC-Service, natürlich kostenfrei.
Der Montagmorgen ist schnell da, der Abschlepper dann auch. Der Rest ist Formsache: Kurze Absprache, aufladen, verzurren, Papierchen ausfüllen und los. Der dicke gelbe Scania-Abschlepper rauscht auf einem lustig geschwungenen Asphaltband, vorbei an riesigen Industriegebieten mit Fabriken und allem nur erdenklichem Gewerbe, ziemlich komplex das Ganze.
Nach ungezählten Tunnels und Kreiseln spuckt uns das Straßengewirr dann vor einer riesigen Mercedes-Benz-Werkstatt aus. Bfffffffff… Da wären wir also, wo? Keine Ahnung!
Ich hab echt Angst vor dem Moment, in dem das angepeilte Opfer den Braten riecht, den Umfang der bevorstehenden Arbeiten, die eigentliche Unmöglichkeit der Maßnahme erkennt und uns wegschickt.
Dies passiert dann am Nachmittag, nachdem Pepe, der Werkstattleiter der Truckabteilung unseren Schaden begutachtet hat, ist ihm zu fett die Nummer, wie soll das gehen?!
Niedergeschlagen sitzen wir im Auto, denken nach…
Unerwartet taucht Pepe nach ein paar Stunden wieder auf und deutet mir mit spanischem Vokabular, Händen und Füßen, dass er das Gremlin-Buch (unsere Fotodokumentation der Entstehung) und unseren Bericht in der Zeitschrift Explorer braucht, ich solle mir keine Sorgen machen, bekomme alles wieder, will mit seinem Boss reden… Wir sollen morgen früh wiederkommen. Nein, pennen können wir hier nicht, Wachmänner, Alarmanlagen, dicke Tore, schon klar!
Also: Roxy runter, paar Klamotten in den Rucksack, Helme und Tablet zum Navigieren. Auf nach Alcala de Guadaira!
Wir irren mit unserer alten Bultaco durch Kreisel und Tunnels, später, in der Stadt, durch ein scheinbar undurchdringliches Netz von Einbahnstraßen. Wo sollen wir hin, müssen irgendwo pennen…
Ich halte an, wir fragen jemanden, ob er ein wenig Englisch versteht und uns den Weg zu einem Hotel, Hostel or whatever weisen könne. Der Ärmste: kam geradewegs vom Englischunterricht und sofort Praxis auf der Straße. Der hat noch viel zu tun, aber sichtlich bemüht war er auf jeden Fall! Die Info, welche wir ihm entreißen konnten, spülte uns direkt in die Arme seines Teachers.
Dieser, freundlich, nett und klar, redegewandt, bot uns eiligst seine Hilfe an. Weiß ein Hotel in der Nähe, wird uns dahin begleiten. „Cool“ denk ich noch und muß nach einer kurzen Sitzprobe auf der Roxy feststellen, dass der hintere Reifen leer ist. Scheisse! Platten! Es ist Nacht, es ist warm, ich schwitze in meiner Motorradjacke, wir sind echt platt, alle!
Bergauf lass ich die Roxy selber rödeln, lauf nur nebenher, der Berg ist lang und der Berg ist steil, aber wir können schon die Schrift lesen: „Hotel Sandra“. Der Teacher klärt alles für uns, auch das die Roxy nicht draußen schläft. Später schiebe ich sie mitten durch den riesigen Marmorsaal ins Getränkelager. Verschwitzte Klamotten vom Leib, duschen, essen im hoteleigenen Restaurant- schlafen!
Morgens dann ein Frühstückchen, Sachen packen, Roxy rausholen , anschmeißen und ca. 800 Meter weiter tuckern bis zu „Moto Paulino“, ein freundlicher Motorradschrauber und –händler, welcher uns der Teacher empfahl.
Der versorgt uns dann auch fachgerecht, wechselt den Schlauch für 20 Euros, wir werden ihn noch öfters sehen… Back on the road again wühlen wir uns wieder durchs Asphaltgewirr, finden zum Daimler. Die warten schon auf uns, kurze Absprache, dann kommt Angel mit Gabelstapler und Schleppstange, zieht uns rein. Ein kleines Plätzchen zwischen all den Trucks. Angel haben wir gestern schon kurz kennengelernt, ist begeistert von unserer Bultaco, so wie alle anderen auch. Da er so ziemlich der einzige in dem riesen Laden ist, der etwas Englisch versteht und spricht, wird er auch gleich zu unserem persönlichen Schrauber, wir werden viel Zeit miteinander verbringen und hart arbeiten. Das Zerlegen geht recht zügig, wir schrauben, Nadine recherchiert, sucht uns ein Domizil übers Internet. Sie findet ein bezahlbares Haus zur Miete. Dreckig und verschwitzt schwingen wir uns gegen halb acht aufs Moto, fahren wieder nach Alcala, immer noch unglaublich das Straßengewirr.
So ziemlich in der Mitte der Stadt, finden wir es dann schließlich: Casa del Cura! Wir klopfen, Isabell öffnet, lässt uns rein. Wir fragen nach Antonio, dem Vermieter, aber der ist mal wieder nicht da, wie meistens. Macht nichts, finden unser Zimmer auch so, auch die Garage für Roxy. Das Haus ist schon ziemlich alt, aber okay, anfangs verlaufe ich mich ständig, viele Zimmer, zwei Küchen, ein großes Bad für alle, fungiert als Hostal. Überall hängen Heiligenbilder, die Kirche gleich nebenan.
Mit unserem Vermieter Antonio kommen dann etwas später auch die ersten besorgniserregenden Nachrichten. SEMANA SANTA!
Was`n das? Er klärt uns auf:
Das ist die heilige Osterwoche mit unglaublichen Prozessionen und bunt verkleidetem andalusischem Volk, Straßenbenutzung ausgeschlossen.
Wir haben Angst, denken an Fasching, decken uns mit Lebensmitteln ein.
Wird dann aber doch ganz amüsant die Aktion. Mitte der Woche geht’s los, abends sind die Straßen dicht. Unser Haus füllt sich mit Antonios Freunden, Familienmitgliedern und Hostelgästen aus aller herren Länder.
Es wird gesungen, gegessen, getanzt, Gitarren klingen. Auf der Straße steppt der Bär, riesige „Pasos“ (Heiligenfiguren), tonnenschwer werden von ca. 60 Männerfüßen unter unserem Balkon vorbeigeschleppt, begleitet von erhaben musizierenden Spielmannszügen und Ku-Klux-Clan vermummten Gestalten, aller Farben und Größen.
Den Klapperstorch auf dem Glockenturm nebenan hört man dieser Tage nicht klappern und Romualda, sorry, Dona Romualda Raimunda Cordero, die ca. 300 Gramm leichte Hauskatze sucht sich eher ruhige Plätzchen, oder meine Obhut.
Nun ja, im Zuge dessen arbeitet Mercedes Benz freilich auch nicht. Montag können wir wieder ran. Für uns also ne gute Zeit, die Umgebung bisschen zu erkunden und da gibt`s Einiges zu tun.
Es ist einfach grandios hier, wir lernen diese Stadt langsam kennen und lieben. Es ist viel geboten, will viel entdeckt werden, gut, dass wir hier wohnen, zum Durchfahren viel zu schade!
Bei Letzterem würde man sehr wahrscheinlich das riesige Castillo (Festung) entdecken, oder auch die Puente de la Dragon (wunderschöne, hingebungsvoll gestaltete Brücke der Neuzeit in Form eines Drachens), nicht aber die großflächigen Parks entlang des Flusses der der Stadt ihren Namen gab, die üppige Vegetation und reichhaltige Tierwelt, die Jahrhunderte alten Mühlen, derer bestimmt 20 entlang des Rios stehen. Längst im Ruhestand, verkündigen sie noch heute ihre einstige Bestimmung. In ihnen wurde das Korn gemahlen und Brot gebacken, welches Sevilla verspeiste. Steinerne Zeitzeugen.
Bei einem unserer Streifzüge entdecken wir dann auch die Acena, unsere Lieblingsmühle.
Umgeben von einem Schauspiel der Natur, ein paar verfallenen historischen Gebäuden, gebettet in eine mehr als abwechslungsreiche Landschaft, trotzt sie da seit 1784 stoisch der Zeit (und manch blödem Spanier).
„Basura“ bedeutet Müll, schreiben können es wohl alle, aber damit umgehen eben nicht. Schade eigentlich!
Wir sind rettungslos verliebt in diesen Ort, klar ist auch, dass wir hier unbedingt stehen müssen, sollte unser Mogi je wieder fahren.
Viel zu schnell hat uns der Alltag wieder eingeholt, Montag früh fahren wir an die Arbeit zu Mercedes Benz, die 8 Kilometer sind fast schon Routine, Navigation per Tablet nur noch rudimentär.
Die neue Kupplung ist noch nicht da, Dienstag auch nicht. Prima: Alcala und Freizeit, das passt super!
Antonio stellt uns paar Fahrräder zur Verfügung und wir radeln zum Castillo Marchenilla unweit von Alcala.
Traumhaft bei blauem Himmel, Sonnenschein und Temperaturen um die 30 Grad. Leider bleiben die Pforten heute geschlossen, aber wir kommen wieder!
Ab Mittwoch gibt`s dann wieder schwarze Hände und jede Menge Schweiß, die Kupplung ist da, ein spezielles Drehteilexklusiv angefertigt, gute Arbeit vom spanischen Dreher.
Mittlerweile freuen sich sämtliche Mitarbeiter der Truckabteilung, wenn die Roxy durch die heiligen Hallen knattert. Wir treffen unsere Arbeitskollegen abends in der Stadt und beim Einkaufen werden wir gegrüßt. Lustig! Liege mit Angel schraubend unterm Mogi als ich deutsche Konversation vernehme. Andi steht neben dem Auto und textet mit Nadine. Auch ihn haben Probleme mit seinem Sprinter zu MB gespült. Er wartet bis zum Feierabend, wir nehmen ihn mit in „unser“ Haus (sein Auto fährt glücklicherweise noch) und kochen erst mal fett, gratis Stadtführung inklusive.
Nächsten Tag fährt er nochmal mit in die Werkstatt, lässt seine Karre durchchecken. Das ist auch der Tag, an dem wir unseren Mogi fertig kriegen, Test Kupplung: Positiv!
Die Freude ist groß, die Rechnung auch. Bezahlen können wir erst montags, wegen komplizierter Transfergeschichten. Aber Standgebühren fallen nicht an und unser Zimmer ist eh bezahlt, also fahren wir mit Andi, übrigens auch ein dauerreisender Ossi, ins Casa, feiern.
Beim obligatorischen Spaziergang treffen wir Manuel. In allerfeinstem deutsch kommuniziert er mit uns und siezt uns… Spät abends treffen wir ihn in der Stadt und er siezt uns wieder. Jetzt reicht`s! Ich frag ihn, ob er von Berufswegen genötigt ist, alle Leute übern Haufen zu siezen, okay jetzt geht`s.
Er ist Deutscher mit spanischen Eltern und arbeitet hier für einen großen Konzern. Muss in Anzug und Krawatte gekleidet Geschäfte tätigen, viel umher fliegen, Businessman halt.
Am Ende gehen wir alle zusammen schick essen, sein Kumpel Angel lädt uns sogar alle ein, schöner Abend.
Leider müssen wir uns schon wieder von Andi verabschieden, der muss weiter Richtung Portugal. Er gesteht uns, dass er überhaupt nicht mehr auf die Reihe bekommt, wie lange wir uns eigentlich schon kennen, eineinhalb Tage, Wochen, Monate? Danke Andi, die Zeit war kurz aber intensiv!
Samstag ist dann auch der Tag, an dem der von Antonio euphorisch angekündigte und fast eine Woche überfällige Flamencogitarrist in unser Haus einzieht.
Später werden wir erfahren, dass auch er Probleme mit seinem Benz hatte, dadurch in Madrid hängen geblieben ist. Okay: Künstler halt und Flamenco ist eh nicht unser Ding. Jose sieht das aber anders, fühlt sich gleich von uns angezogen. Wenn da nur nicht die allgegenwärtige Sprachbarriere wär. Ein paar spanische Vokabeln haben wir ja schon drauf, einiges aus der Werkstatt mitgebracht und unterwegs aufgeschnappt und so Manches aus dem Buch. Das soll sich noch ändern…
Jose indes, ist von Geburt spanischer Abstammung lebt aber in Frankreich. Seine Englischkenntnisse belaufen sich nach seiner eigenen Auffassung auf 5 Worte, das macht`s nicht leichter.
Berührungsängste gibt`s aber keine. Das Netz aus Sprachen wird jetzt immer komplexer, wir lernen ein wenig französisch und viel spanisch, Jose dafür englisch und deutsch, den Rest erledigen Gestik, Mimik, Hände und Füße. Es ist erfrischend mit ihm.
Montag holen wir dann endlich unser Auto, verabschieden uns von Angel, Ramon, Pepe, Benni, Fran, Ezequil und wie sie alle heißen. Wir stoppen unseren Patienten kurz bei Aldi, decken uns mit Vorräten ein und fahren direkt an den Fluss.
Wow, was für ein Platz! Der Mogi macht sich gut hier. Wir laufen von hier in die Stadt und planen unseren Rückzug aus der Casa. Antonio karrt uns später unseren angestauten Hausrat mit seiner Kastenente (Citroen 2CV Kombi) an die neue Adresse, Rio de Guadaira. Den Schlüssel vom Haus behalten wir erst mal zum Duschen, Wäsche waschen, kochen und Wifi, aber langsam schwemmen wir es aus. Besuche empfangen wir nur noch am Fluss und das sind im Laufe der ca. 4 Wochen, die wir hier noch stehen werden, nicht wenige.
Dieser Ort wird all unsere Wunden heilen, alle Schmerzen vergessen machen, unsere Seelen pflegen. Er wird uns Kraft und Ruhe schenken, unser zu Hause sein. Unsere Mitbewohner sind alle nur vorstellbaren Vögel, auch Papageien, Fische, Frösche, Enten, Muscheln, Flusskrebse, kleine Schildkröten, Ameisen, Schmetterlinge, Heuschrecken und manchmal auch Fliegen und Moskitos. Der Schäfer kommt mit seinen ca. 300 Schafen immer mal vorbei, kennt uns. Auch die Leute vom Ajuntamiento, die die Parks pflegen sind immer freundlich, haben kein Problem mit uns. Die lokale Polizei kommt manchmal, fragt, ob alles gut ist und findet unseren Fuhrpark natürlich auch cool.
Wegen unserer kleinen Feuerstelle sagen sie nichts, sie sieht gepflegt und sicher aus, normalerweise sind freies campieren und Feuer streng untersagt, man gibt sich tolerant.
Und nicht genug damit, haben wir auch noch eine natürliche (Trinkwasser)Quelle am Platz, die uns viel Schlepperei erspart, unser Geschirr spült, uns duscht und das Essen und der Kaffee schmecken mit frischem Quellwasser auch nicht schlecht.
Was auch super schmeckt, sind die Früchte des Morabaumes, wovon hier einige stehen, bei uns besser bekannt als Maulbeeren. Sie enthält viel Vitamin C und andere wertvolle Inhaltsstoffe, vor allem aber gespeicherte Sonnenenergie. Die Feigen sind leider noch nicht so weit, schade, gibt viele hier im Paradiesgarten.
Am Wochenende ist hier immer ziemlich was los, Angler, Hundebesitzer, Jogger und andere Knalltüten rücken in Scharen an, keine gute Zeit für die Fische und die Acenia. Frage mich, wie viele der 70 tausend Einwohner von Alcala die Acenia schon von innen gesehen haben, ist ja logischerweise zugesperrt. Wir jedenfalls waren drin, unsere Freunde von der Stadtverwaltung haben`s möglich gemacht. Jose besucht uns fast täglich, wenn er nicht gerade in Sevilla ist, um nach Möglichkeiten für ein Gitarrenkonzert zu suchen.
Der gerühmte Flamencogitarrist Jose de la Linea sitzt mit uns am Lagerfeuer und klimpert sich die Nägel warm, geile Nummer! Ein Genie.
Das reißt auch nicht ab, als wir uns dann nach 4 Wochen entschließen, nach Carmona umzuziehen. Fährt er halt 30 Kilometer weiter…
Danke Alcala de Guadaira!